In der Rubrik „Geschichten aus unsere Praxis“ erzählt Ihnen Jens zukünftig unglaubliche aber auch spannende Fälle aus unserer täglichen Praxis – heute ein Fall für alle , die dem Klettern in den Bergen ihr Herz geschenkt haben
Wenn einem das Herz zerbricht…..
Noch ziemlich genau erinnere ich mich an unsere Patientin Ulrike. Wir hatten einen guten Draht zueinander. Das lag an ihrer offenen und von wenig Eitelkeit geprägten Art, die Dinge direkt beim Namen zu nennen. Ulrike war eine leidenschaftliche Kletterin. Die Nähe zur Sächsischen Schweiz mit ihren einzigartigen Felsformationen gab diesem Hobby immer wieder neues Feuer und so übte sie dieses Hobby seit ihrer frühen Jugend mit ungebrochener Freude aus. Sie hatte schon einiges an Blessuren in dieser Sportart erlitten, nun aber, sie war frische 65 Jahre jung geworden, kam es durch einen Unfall zu einer Situation, in der sie ihren rechten aber auch ihren linken Arm nicht mehr schmerzfrei heben konnte. Aber nicht nur das. Auch die Kraft schien aus dem Armen komplett verloren gegangen zu sein. Eine dieser Einschränkungen hätte schon gereicht, dem Klettersport ade zu sagen, aber hier gab es ja sogar zwei davon. Ambitioniert aber dann schlussendlich doch verzweifelt, hatte Ulrike daher schon einen kleinen Therapiemarathon absolviert: mehrere Arztbesuche, Röntgen, Sonographie, MRT, also bildgebende Verfahren, Physiotherapie und Einreibungen aller Art. Am Ende war das Ergebnis für sie jedoch niederschmetternd. Impingement lautete eine Diagnose. Niederschmetternd waren auch solche Aussagen von Ärzten und Therapeuten: „In Ihrem Alter kann man nicht mehr viel machen, finden Sie sich also damit ab.“
Wer jedoch so sehr und so lange Klettersport wie Ulrike ausgeübt und gelebt hat, wer mit Kletterkameraden so manchen Felsen erklommen hat, dem fällt es unglaublich schwer, sich mit solchen Aussagen sofort abzufinden. Ulrike hatte zudem den Eindruck, dass Klettersport von den Ärzten sowieso nicht ernst genommen und besprochen wird. Mit Tränen in den Augen erzählte sie mir: „Es ist, als ob einem das Herz zerbricht, wenn ich nicht mehr in meiner Sächsischen Schweiz, in meinem zweiten Zuhause, klettern gehen kann.“ „Sie sind meine letzte Hoffnung!“ richtete sie schließlich ihren sympathischen Appell an mich.
Es macht einen Unterschied, ob ich in der Therapie einen Menschen vor mir habe, der mit der Einstellung lebt: wenn es klappt, dass ich wieder klettern kann, wäre es schön oder ob es ein Mensch ist, der zu sich sagt, das muss jetzt klappen und ich werde alles, wirklich alles Notwendige unternehmen, damit es funktioniert. So ein Typ war Ulrike. Ihre ganze Körperchemie war nicht auf Kapitulation eingestellt. Begleitet durch unsere Therapie, bewies sie echte Willensstärke und Durchhaltevermögen. Vom ersten Tag an erlernte Sie ihre speziellen Übungen, die ich ihr gab, machte das mehrfach täglich, forderte sich immer wieder hierbei neu und selber heraus. So manche Träne floss auch hierbei, sie ließ sich jedoch durch nichts beirren und siehe da, es stellte sich alsbald tatsächlich eine Verbesserung der allgemeinen Situation dar. Ihr rechter und linker Arm hatte verstanden, dass sie sich noch nicht aufs Altenteil setzen konnten.
Gestern erhielt ich überraschend ein Bildnachricht mit zwei eindrucksvollen Fotos von Ulrike. Ulrike ist wieder richtig am Klettern. Sie ist wieder bei sich angekommen. Auch in Ihrer Seilschaft am Berg – hoch oben – ein Gipfelerfolg. Verbunden mit zukunftsweisenden und besten Aussichten.
PS:
Ich liege im Gras, schreibe diese Zeilen, über mir der blaue Himmel und im Radio singt Clueso das Lied „Anlauf nehmen“ : …immer wieder Anlauf nehmen , mit vollem Herzen los rennen….. bist es klappt…..
erzählt von Jens Schreiber